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Was ist Vollbeschäftigung?
Versuch einer Definition


Die denkbar einfachste Definition lautet: 'Vollbeschäftigung ist, wenn jeder Arbeit hat.' Allerdings hat diese knappe Definition auch ihre unübersehbaren Schwachstellen. So müßte zunächst deutlicher gesagt werden, daß mit dem Ausdruck 'Arbeit haben' üblicherweise die bezahlte Arbeit der Beschäftigten oder die selbständige Arbeit der Unternehmer gemeint ist, nicht aber zum Beispiel Hausarbeit oder ehrenamtliche Arbeit. Die letztgenannte Form von Arbeit haben auch Arbeitslose, und trotzdem fehlt ihnen etwas Wichtiges in ihrem Leben: die bezahlte (Vollzeit-)Arbeit, die ihnen Selbstbestätigung, Abwechslung, einen gewissen gesellschaftlichen Status und vor allem den Bezug eines regelmäßigen Einkommens ermöglicht. Umgekehrt wird es auch Fälle geben, wo Arbeitslose nichts in ihrem Leben vermissen und ohne Arbeitsverhältnis glücklich sind. Ferner gibt es Menschen, die aus Krankheitsgründen nicht arbeiten können, Menschen, die in der Ausbildung stecken und so weiter. Für alle diese Personen ebenfalls ein Beschäftigungsverhältnis fordern zu wollen wäre natürlich Unsinn.

Versuchen wir es mit einer weiteren Definition: 'Vollbeschäftigung ist, wenn alle, die einer bezahlten Arbeit nachgehen möchten, einen Arbeitsplatz besitzen'. In dieser Definition ist bewußt offengelassen worden, ob jeder tatsächlich in dem erlernten Beruf bzw. in der von ihm/ihr gewünschten Tätigkeit beschäftigt sein muß. Wollte man diese Aspekte von Arbeitszufriedenheit berücksichtigen, müßte man die obige Definition abändern in: 'Vollbeschäftigung ist, wenn alle, die einer bezahlten Arbeit nachgehen möchten, einen Arbeitsplatz besitzen und niemand den Wunsch verspürt, seinen Arbeitsplatz zu wechseln'. Wäre diese Defintion zu radikal? Für den praktischen Gebrauch vermutlich ja. Allerdings ist zu bedenken, daß in einem echten Vollbeschäftigungszustand die Chance, seinen Wunsch-Arbeitsplatz zu finden, tatsächlich sehr hoch ist. Zudem hätte diese Definition den Vorteil, die angebliche 'Vollbeschäftigung' einer sozialistischen Planwirtschaft zu relativieren.

Ebenfalls recht gut dürfte die folgende Definition passen: 'Vollbeschäftigung ist, wenn es keine registrierten Arbeitslosen gibt'. Zwar ist es richtig, daß die Zahl der registrierten Arbeitslosen bei herrschender Arbeitslosigkeit nur sehr wenig über das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit aussagen kann. So ist es einerseits denkbar, daß einige der registrierten Arbeitslosen in Wirklichkeit gar keine Arbeit suchen. Andererseits wiederum wird die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen oft stark unterschätzt, da manche Arbeitslosen, die keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe besitzen, sich gar nicht erst beim Arbeitsamt registrieren lassen. Manche auch, die nicht aus einer wirtschaftlichen Not heraus zum Arbeiten gezwungen sind (z.B. bei verdienendem Ehepartner), sind angesichts der schlechten Arbeitsmarktsituation so entmutigt, daß sie einen Arbeitsplatzwunsch gar nicht erst formulieren. Wie hoch die Arbeitslosigkeit tatsächlich ist, kann aufgrund dieser Dunkelziffer niemand mit Sicherheit sagen. Anders sähe das jedoch in einer Vollbeschäftigungs-Situation aus. Nur wer tatsächlich Arbeit sucht, würde sich dann registrieren lassen (denn man müßte damit rechnen, daß man Arbeit angeboten bekommt!).

In einem Punkt jedoch müssen alle obigen Definitionen als unrealistisch beurteilt werden: selbst unter idealen Bedingungen wird es nie eine 100%ige, lückenlose Vollbeschäftigung geben können. Stets wird ein geringer Grundsockel an Arbeitslosigkeit existieren, der zum Beispiel auf Wohnort- und Arbeitsplatzwechsel zurückgeführt werden kann. Diese Art von Arbeitslosigkeit (von den Ökonomen 'friktionelle Arbeitslosigkeit' genannt) ist jedoch typischerweise nicht von Dauer und würde sich allenfalls über wenige Monate erstrecken. Eine weitere wichtige Ursache ist der Strukturwandel, der auch in einer Vollbeschäftigungs-Gesellschaft allgegenwärtig wäre und zu einer Umschichtung der angebotenen Arbeitsplätze führt, was in der Folge wiederum eine Umschichtung der erworbenen bzw. angebotenen Qualifikationen auslösen würde. Kann dieser nötige Anpassungsprozeß nicht schnell genug vollzogen werden, resultiert hieraus 'strukturelle Arbeitslosigkeit'. In den letzten zehn/zwanzig Jahren hat sich die strukturelle Arbeitslosigkeit absolut gesehen stark erhöht, was daran erkennbar ist, daß sich bei steigender bzw. stagnierender Arbeitslosigkeit die Zahl der offenen Stellen ('Vakanzen') erhöht hat. Ob es sich hierbei um ein dauerhaftes oder lediglich vorübergehendes Phänomen handelt, muß abgewartet werden.

In dem Wissen, daß eine gewisse Sockelarbeitslosigkeit unvermeidbar sei, wurde gelegentlich diejenige Grenze, ab der eine Quasi-Vollbeschäftigung als erreicht gelten soll, willkürlich mit einer bestimmten Arbeitslosenquote gleichgesetzt. In den sechziger Jahren (eine Periode, die geradezu paradiesische Vollbeschäftigungswerte mit sich brachte) lag dieser Wert noch bei ca. einem Prozent. Er stieg in den wirtschaftlichen Rezessionen der nachfolgenden Jahrzehnte auf zwei bis drei Prozent an, und spätestens seit Anfang der neunziger Jahre sehen viele Ökonomen das Ziel der Vollbeschäftigung sogar schon bei einer Arbeitslosenquote von 5-6 Prozent als erfüllt an. Möglicherweise liegt diese schleichende 'Verwässerung' des Vollbeschäftigungsauftrags in einer gestiegenen Toleranz gegenüber Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft insgesamt begründet. Dieses Phänomen soll im folgenden Kapitel näher betrachtet werden.

Vollbeschaeftigung.de:  © 2000 Björn Benken Letzte Aktualisierung dieser Seite am  22.04.2000